Beiträge von Woelfchen

    Mary blinzelte und blickte an die Decke. Sie war nach dem Essen mit Sylvia zurück gegangen und hundemüde ins Bett gefallen. Es dämmerte bereits, doch Mary blieb noch liegen. Sie musste es noch realisieren, sie war nicht mehr auf der Straße, musste in keinen Eingängen mehr schlafen. Sie richtete sich auf und blinzelte. Das Bett von Sylvia war leer. Auf einem Stuhl lag ein Handtuch und im Raum stand ein Bottich. Daneben mehrere Eimer mit Wasser. Das Wasser war noch heiß und dampfte und Mary freute sich. Sie stieg aus dem Bett, schlüpfte aus dem Unterhemd und stieg in den Bottich, nachdem sie das Wasser richtig gemischt hatte. Es fühlte sich gut an. Sie griff zu einem Schwamm und etwas Seife und begann sich gründlich zu waschen. Schnell wurde das Wasser dunkel und sie immer sauberer. Dann begann sie ihre Haare zu waschen. Sie goss immer wieder etwas warmes Wasser nach und regelte somit die Temperatur.


    Es klopfte und Mary blickte auf. Sylvia trat ein.


    "Soll ich dir helfen?"


    Mary nickte und Sylvia spülte die Seife aus dem Haar von Mary. Danach half sie ihr aus dem Bottich und reichte ihr ein flauschiges Handtuch.


    "Na also, hast du gut geschlafen?"


    Mary nickte. Mit rosigen Wangen ließ sie sich von Sylvia beim Einkleiden helfen. Sylvia trocknete ihre Haare und kämmte sie durch. Dann holte sie ein Kleid aus einem etwas dickeren Stoff heraus. Die Farben waren in derselben Art gehalten, wie das gestrige Kleid.


    "Heute fängt dein Unterricht an. Da musst du besonders schick sein."


    Sylvia begann Mary dezent zu schminken, dann schmückte sie das Haar etwas und steckte es hoch. Dann schnalzte sie anerkennend mit der Zunge. Sie half Mary hoch, drehte sie etwas und nickte zufrieden. Erneut klopfte es. Die Tür ging auf und d'Eon trat ein. Mary senkte den Kopf und damit den Blick, doch d'Eon hielt sie zurück.


    "Nein, nein. Das unterlässt du. Jetzt bist du eine von uns, die anderen müssen ihren Blick senken, nicht aber du."


    Er trat zu den beiden Frauen und hob Marys Kinn an.


    "Sei stolz, denn du bist eine Schönheit und niemand hat das Recht dir das streitig zu machen."

    Sylvia förderte einige Kleidungsstücke ans Tageslicht, hielt sie vor Mary, legte den Kopf schief, schüttelte diesen dann und warf die Kleidung dann achtlos aufs Bett. Sie tippte sich ans Kinn und lächelte dann. Sie drehte sich zum Schrank, wühlte noch tiefer und holte dann ein Kleid heraus. Ein weißer Stoff mit pastellrosanen Highlights, einem gebundenen Oberteil und schwarzen Nähten. Sie hielt Mary das Kleid hin und nickte dann.


    "Zieh das an, dann gehen wir etwas essen."


    Sylvia ließ Mary alleine und diese blickte sich um. Es standen 2 Betten in diesem Raum, ein großer Kleiderschrank, der nun offen stand. Die Kleidung dort drin, war schon länger drin und bestimmt von mehreren Frauen, dennoch sahen sie sauber und gepflegt aus. Sie zog ihr altes zerschlissenes Kleid aus und ließ es achtlos auf dem Boden liegen. Leicht zitternd hüpfte sie zum Bett und strich vorsichtig über den Stoff. Dann nahm sie das Kleid hoch und schlüpfte hinein. Das Kleid passte sich ihrer Figur an und schmiegte sich an ihre Rundungen. Mary hatte sich sofort verliebt in das Kleid. Die Schnürung an diesem Kleid befand sich vorne, so dass sie keine Hilfe brauchte. Das seidene Band in der Schnürung war fest, diente aber nicht dem Festbinden des Kleides. Dazu gab es ein dünneres Band, welches unter dem seidenen verschwand. Sie trat vor den Spiegel und blickte hinein. Sie seufzte, von der einstigen adligen Erscheinung war nichts mehr übrig. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, die Wangen waren eingefallen, das Haar war verfilzt und schmutzig. Und dann dieses Kleid. Gerade als sie es wieder ausziehen wollte, trat Sylvia ein. Sie zog Mary vom Spiegel weg.


    "Man begutachtet das Bild nicht, bevor es nicht fertig ist. Komm mit. Morgen werden wir dich gründlich waschen."


    Sylvia griff nach Marys Hand und zog sie aus dem Zimmer. d'Eon musterte sie und lächelte.


    "Die Basis ist da."


    Er winkte das junge Mädchen zu sich, drückte sie auf einen Hocker und begann dann, vorsichtig, das Haar zu kämmen. Es dauerte nicht lange und die Glätte war wieder da. Kunstvoll drehte er einen Zopf und steckte das Haar hoch. Mit etwas Make Up verwandelte er Mary zu einer eleganten Schönheit. Er nickte und Sylvia zog Mary mit nach draußen.


    Sie wandte sich nach links und Mary folgte ihr. Vor einer schäbigen grünen Tür hielt sie an, klopfte und trat ein, Mary zog sie mit. Es war ein kleiner Gastraum, der dennoch sauber war und gut roch. Sylvia setzte sich an einen Tisch und hob die Hand. Sie zeigte 2 Finger hoch, der Wirt nickte und verschwand in der Küche. Ein Mädchen, ebenfalls im Alter von Mary, kam mit 2 Gläsern Rotwein an den Tisch, stellte diese ab und verschwand schnell wieder. Nur kurz danach trat der Wirt an den Tisch und stellte 2 Holzteller und eine große Schale auf den Tisch. Ein dampfender Eintopf mit Kartoffeln, Fleisch und Speck, etwas Gemüse und ein Korb mit Brot regten zum Essen an.


    "Greif zu. Du musst hungrig sein."


    Das ließ sich Mary nicht zweimal sagen. Kein Wunder also, dass sie sich beim ersten Bissen die Zunge verbrannte, doch ihr Hunger war so groß, dass es sie nicht störte. Der Magen knurrte und das Essen roch einfach lecker. Sylvia lächelte und tat sich auch etwas auf. Sie erinnerte sich an ihr erstes Mahl mit d'Eon, sie hatte genauso reingehauen, schon bald würde Mary ebenfalls unterrichtet werden und Sylvia freute sich sehr darauf, denn dann konnte sie sich mit Mary austauschen und sie konnten zusammen arbeiten.

    Es war nun einige Zeit vergangen, seit Charles Mary aufgenommen hatte. Die erste Zeit hatte man Mary gut behandelt. Sie bekam zu essen, einen sauberen weichen Schlafplatz. Doch schon bald wollte d'Eon mit dem Unterricht beginnen und Mary konnte sich nichts darunter vorstellen, doch die Nähe von Sylvia beruhigte sie. Die erste Lektion war, Gut aussehen. d'Eon hatte einen Frisör bestellt, der Marys Haar zurecht machte. Waschen, kämmen, Schnitt reinbringen. Während Mary ihre neue Frisur mit Freude begutachtete, sah sie im Spiegel, wie d'Eon einen Brief mit einer Krone als Siegel entgegen nahm und es machte sie neugierig, doch sie hielt sich zurück. Charles nickte anerkennend und pfiff leicht durch die Zähne.


    "Schon viel besser, als nächstes, dein Aussehen, Make-up, Kleidung und Gestik. Aber das erst morgen.... Sylvia? Sie soll sich waschen und umziehen, dann geh mit ihr raus, sie muss die Stadt mit anderen Augen sehen."


    Sylvia, die bisher im Hintergrund geblieben war, stand nun auf, nickte und legte ihren Arm um Marys Schulter.


    "Komm, nun machen wir Mädchensachen."


    Dabei zwinkerte sie Mary verschwörerisch zu, ohne das d'Eon es sah und Mary entspannte sich etwas.


    Nach einem gründlichen Bad stand sie leicht zitternd und leicht bekleidet im Zimmer, während Sylvia was passendes zum Anziehen suchte. Als sie bemerkte, dass Mary fror, warf sie ihr eine wärmende Decke zu.


    "Frieren musst du nicht, sag einfach Bescheid"


    und Mary nickte, warf sich die Decke über und kuschelte sich lächelnd ein.


    "Wie kommt ihr an solche Sachen?"


    fragte Mary neugierig, während sie den Stoff bewunderte. Es war Samt und den kannte sie wenig, denn sowas war teuer und auch ihre Familie konnte sich sowas nur sehr selten leisten. Sylvia lächelte verschwörerisch.


    "Schon bald wirst du es lernen .. und selbst genießen können."


    Mary staunte nicht schlecht und nach dieser Aussage begann sie, den Raum intensiver zu begutachten. Das Haus sah von außen zwar ärmlich aus, aber hier drinnen herrschte Reichtum. Nicht an den Wänden oder an den Möbeln, aber die Kleidung, die Sylvia dort durchsuchte, zeigte Luxus und auch der Badebottich und der Spiegel. Es war ein Luxus, der nicht ersichtlich war, doch wenn man wie Mary nicht unbedingt zu den reichen Edlen gehörte, lernte man auch solche einfachen Sachen als Luxus zu schätzen.


    "Und das soll ich lernen? Wie man solche Reichtümer erhält, ohne zu bezahlen?"


    Sylvia hielt inne und lächelte warm. Für Mary waren diese Reichtümer dasselbe, wie für sie.


    "Ja, Meister d'Eon wird dich alles lehren, was du wissen musst und zusammen werden wir reich werden."


    Sylvia hatte Mary sofort ins Herz geschlossen und auch d'Eon war von Mary angetan gewesen, nur wusste Sylvia nicht woher und das machte sie leicht misstrauisch. Charles verheimlichte etwas und sie wusste nicht, was es war, und das wo er ihr sonst alles erzählte. Auch wie sie Mary fanden, war eher undurchsichtig, doch Sylvia wollte die Neue nicht spüren lassen, wie unsicher sie selbst war, über diese "zufällige" Entdeckung.

    Eine sanfte Männerstimme erklang und als der Schmerz ausblieb, öffnete Anette ihre Augen.


    "Hoppla, nicht so stürmisch junge Dame."


    Er half ihr auf die Beine und lächelte.


    "Wohin so eilig?"


    Anette nuschelte verschüchtert

    "Dame de Florence"


    Der junge Mann verneigte sich.


    "Gestatten, Graf von Fersen. Genau da wollte ich auch hin, darf ich euch begleiten?"


    Er bot ihr seinen Arm an und Anette hakte sich ein, sie hoffte, dass sie nicht zu aufdringlich damit vorkam. Während er den Weg und die Richtung vorgab, erzählte er ihr allerlei vom Leben in Versailles und sie prägte sich alles Auffällige am Wegesrand ein, damit sie später auch alleine wieder zurück finden würde. Es war ihr schon unangenehm, dass sie sich so dumm anstellte, auf der anderen Seite schalt sie sich, denn wie sollte sie auch wissen, wohin sie musste, wenn sie noch nie hier war. Sie war ja gestern erst angekommen. Im Zwiespalt mit sich selbst, vergaß sie, sich den Weg einzuprägen, stattdessen drang seine sanfte Stimme an ihr Ohr.


    "So meine Dame, hier wären wir. Das ist das Reich vom Marquis de Lafayette und seinen Bediensteten. Ganz oben steht die Dame de Florence. Sie sorgt in diesem Abschnitt für Ordnung und das alles seinen geregelten Gang geht. Hier nun verabschiede ich mich. Wenn ihr bei der Dame fertig seid, wartet hier auf mich, ich werde euch die ersten Tage hier herumführen und begleiten."


    Er beugte seinen Kopf nach vorne und deutete einen Handkuss an, während er sich verneigte. Als er sich aufrichtete, schien die Sonne auf sein Haupt und Anette erstarrte kurz. In ihrem Kopf bildete sich der Umriss eines Engels. Ehe sie es verhindern konnte, flüsterte sie ehrfürchtig:


    "Wie ein Engel"


    Als sie es bemerkte, war es schon heraus und sie senkte beschämt den Kopf. Graf Hans Axel von Fersen schmunzelte und lächelte dann. Er schwieg zu dem Kommentar, doch es schien ihm zu gefallen. Als er sich umwandte, lächelte er noch immer. Im selben Moment öffnete sich eine Tür.

    "Ah Mademoiselle de Boize. Treten sie ein."


    Ein junges Mädchen neigte den Kopf und trat zur Seite. Anette atmete tief durch und trat ein. Der Raum war ähnlich groß, wie der ihre, doch er war besser möbliert. Es standen einige Andenken auf den Kommoden, Bilder, Vasen mit Blumen und es roch leicht nach Vanille. Auf dem Tisch stand eine Kanne und 2 Tassen, daneben befand sich eine Schale mit kleinen Gebäckstücken. Als Anette näher an den Tisch trat, realisierte sie die Gestalt, die ebenfalls am Tisch stand, jedoch leicht im Schatten. Der Blick der Dame war auf die Stallungen gerichtet, die sich hinter diesem Trakt befanden.


    "Setz dich Anette. Ich hoffe du hast gut geschlafen."


    Anette nickte und setzte sich hin. Im selben Moment fiel ihr auf, dass die Dame sie nicht ansah und räusperte sich leicht.


    "Ja, Madame. Es war herrlich und weich."


    Sie hob den Kopf und bemerkte das Lächeln auf den Lippen.


    "Francine, gießen sie uns bitte den Tee ein und bringen dann die kleine Truhe, die auf meinem Nachttisch steht."


    Die Dienerin verneigte sich und nachdem sie den Tee eingegossen hatte, verschwand sie im Nachbarzimmer und kam gleich darauf mit einer Holztruhe wieder, die mit Blattgold versehen war. Sie stellte es auf einen Nebentisch und verließ dann den Raum. Die Dame de Florence wandte sich vom Fenster ab und nahm Anette gegenüber Platz. Sie gab einen Würfel Zucker in ihren Tee, etwas Sahne hinterher und rührte um. Dann wandte sie sich, nach einem kleinen Schluck an das junge Mädchen.


    "Du wirst hier eine sehr wichtige Stelle einnehmen. Ich habe dich empfohlen, als persönliche Heilkundige der Königin. Sie traut keinem Arzt hier und ich empfahl ihr die natürliche Heilkunde. Da ich als deine Patronin deine Ausbildung bezahlt habe, wurdest du in jeglicher Form bevorzugt. Die Königin lässt man nicht warten."


    Sie öffnete mit einer Hand die Truhe.


    "Diese Truhe wird mein Vermächtnis an dich sein. Hier drin findest du einige Dinge, die man dir im Haus der Heiler vorenthalten hat."


    Sie beförderte eine kleine silberne Sichel hervor, ein silbernes Schälchen, einen Mörser und noch andere Werkzeuge, die Anette bekannt vor kamen, die sie aber nie selbst besessen hatte. Als sie verstand, was die Worte waren, blickte sie die Dame de Florence ungläubig an.


    "Ihr wollt mir diese wertvollen Kostbarkeiten schenken?"


    Nikole runzelte die Stirn und nickte.


    "Ohne sie wirst du kaum in der Lage sein, deine Arbeit zu tun. Der Graf von Fersen wird dir nach unserem Gespräch ein wenig das Schloss und die Gärten zeigen. Es gibt einen kleinen Kräutergarten, dort wirst du alle notwendigen Zutaten finden. Die Gärtnerin ist Madame Eloise. Wenn du etwas wissen willst, suchst oder neu gepflanzt haben willst, sprich sie an. Sie wird dir auch unterstellt sein, behandele sie aber nett, denn sie hat weitaus mehr Wissen, als wir alle zusammen und ich denke, sie wird dich als Ziehtochter annehmen, denn ihre Tochter ist vor einem halben Jahr gestorben."


    Anette staunte immer mehr, soviel Gutes hatte sie noch nie erfahren und sie schluckte schwer. War sie endlich angekommen? Im Land der Träume? Hier kümmerte man sich um sie, hier wurde sie respektiert und vor allem, hier hatte sie eine Aufgabe.

    Es war noch früh am Tag, als Anette die Augen aufmachte. Im ersten Moment wusste sie nicht wo sie war und blinzelte verwirrt, doch dann fiel es ihr wieder ein. Sie streckte sich und blickte an den Baldachin des Bettes. Sie schloss kurz die Augen und dachte an den gestrigen Tag, nein die Zeit, die vor dem gestrigen Tag lag.


    Sie hatte die Besucher aus dem Schloss sonst immer nur von Weitem gesehen und nun stand sie im Büro der Leiterin und ließ sich wie ein Pferd begutachten. Doch danach ging es ihr besser, komischerweise. Sie bekam ein neues Zimmer, ein Einzelzimmer, erhielt neue Kleidung, zwar auch das schlichte Leinengewand in hellgrau, aber es war frisch und heil. Sie erhielt morgens mehr als nur Brot und Wasser, manchmal war eine Scheibe Käse dabei oder Wurst, dazu gab es frische Milch. Sie durfte 3x in der Woche ein Bad nehmen und ihr Unterricht wurde intensiviert. Sie erhielt nicht nur Unterricht in den Lehren der Heilung, sondern sie wurde auch in Schreiben, Rechnen und Lesen unterrichtet. Anette konnte es gar nicht fassen. Nach ein paar Monaten legte sie sogar eine Prüfung ab und erfuhr dann, dass sie bereits einen Platz als Heilerin bekommen hatte. Sie packte das wenige Hab und Gut zusammen und stieg in die Kutsche. Von der Leiterin bekam sie noch ein Nachschlagewerk zu Heilpflanzen und anderen Zutaten mit und dann ging es in eine ungewisse Zukunft.


    Anette seufzte, schwang die Beine zur Seite und setzte sich auf die Bettkante. Das Bett war von einem großen, weichen und warmen Teppich umgeben. Anette fröstelte kurz, dann stand sie auf und eilte zum Kleiderschrank, als es an der Tür klopfte. Anette blickte sich um, nahm dann die Tagesdecke und warf sich diese um die Schultern, als sie zur Tür eilte.


    "Mademoiselle de Boize?"


    Anette nickte.


    "Dame de Florence bat mich, euch zu helfen, beim Waschen und Ankleiden. Sie erwartet euch in ihren Räumlichkeiten."


    Die etwas ältere Frau scheuchte Anette wieder zurück in den Raum, folgte ihr und lehnte die Tür an. Sie eilte ins Badezimmer und bereitete alles vor, während mehrere junge Mädchen mit Eimern voller Wasser herbei eilten. Als sie in der Tür auftauchte, winkte sie Anette zu sich. Vorsichtig und zögernd kam Anette der Aufforderung nach. Die Frau nahm ihr Kopfschüttelnd die Tagesdecke ab und zeigte ihr an, dass sie sich ausziehen und in den Zuber steigen solle. Anette gehorchte und zuckte kurz zusammen. Das Wasser war etwas zu warm, doch sie gewöhnte sich schnell an die Temperatur und ließ sich in eine sitzende Position sinken. Die Dienerin wusch ihre Haare und ihren Körper, danach wurde sie mit einem flauschigen Handtuch abgetrocknet und die Haare trocken gerieben. Während Anette sich weiterhin die Haare trocken rieb, ging die Frau raus. Die junge Heilerin folgte ihr schließlich und sah, welche Kleidung man ihr hinaus gelegt hatte. Sie hatte schon Angst gehabt, dass es eines dieser riesigen Ballkleider war, doch stattdessen lag eine helle Leinenhose auf dem Stuhl, dazu ein schlichtes Hemd und ein grüner Umhang aus schwerem Samt. Dazu gab es weiche Lederstiefel. Anette schlüpfte in die Sachen und drehte sich. Nach dem heißen Bad wurde ihr in der Kleidung schnell warm, doch ein Blick auf die Eisblumen am Fenster erinnerte sie daran, dass es tiefster Winter war. Sie eilte aus ihrer kleinen Wohnung und versuchte sich zu orientieren. Wo waren noch einmal die Gemächer der Dame de Florence? Während sie sich suchend umblickte, stieß sie jemanden an. Anette taumelte zurück und fiel, doch bevor sie auf dem Boden ankam, wurde sie aufgefangen.

    Das junge Mädchen war einst aus England gekommen. Sie sollte als Adlige am Schloss Versailles zu Besuch kommen, doch dazu kam es nicht. Ihr Schiff wurde am Hafen geentert und sie floh, denn die Bürger waren zu aufgebracht, als dass sie noch mehr Banketts im Schloss sehen konnten und sie mussten hungern. Mary schaffte es gerade noch vom Schiff, ehe man sie entdeckte, doch sie befand sich in einem Land, in dem sie niemanden kannte, in dem man Engländer nicht wollte und sie hatte nichts bei sich. Sie versteckte sich in Gassen und Hinterhöfen. Sie hatte für die Fahrt kein edles Kleid angezogen, das war ihr Glück, denn so konnte sie als einfache Bürgerin durchgehen, sie durfte nur nicht reden, dann würde sie auffliegen. Doch das musste sie ein Glück nicht. Mit viel Geschick konnte sie sich immer wieder etwas zu essen stehlen. Durch ihre zierliche Gestalt konnte sie auch durch engste Zwischenräume kommen, ohne stecken zu bleiben. Das sie nicht unbeobachtet dabei blieb, fiel ihr nicht auf. Sie war noch immer viel zu verschreckt, von dem Schiffsunfall. Oft weinte sie sich abends in einen unruhigen Schlaf, doch aufgeben war keine Lösung für sie. Die Straße würde sie nicht unterkriegen, soviel war ihr klar.


    Eines Tages, Mary hatte sich auf einen Mauervorsprung verzogen und aß einen Apfel, den sie kurz zuvor einer Marktfrau geklaut hatte, als ihr ein Schatten auffiel. Sie folgte dem Schatten und sah eine Gestalt in Frauenkleidern, der lässig an einer Ecke stand und sie beobachtete. Marys Herz rutschte in die Hose, denn sie wusste nicht, ob er sie verraten würde. Er nickte ihr zu und drehte sich um. Die Engländerin grübelte nicht lange. Sie sprang vom Vorsprung, verstaute den halb gegessenen Apfel in ihrem zerrissenen Mantel und eilte ihm hinterher. Sie umfasste den Griff eines selbst gebastelten Messers und rannte in die Gasse. Wenn er tatsächlich alles gesehen hatte, musste sie ihn beseitigen. Doch als sie in die Gasse bog, stolperte sie. Das Messer flog ihr aus der Hand.


    "Mutig, mutig. Was meinst du Sylvia?"


    Mary drehte sich auf den Rücken und sah sich dem Mann und einer weiteren Frau gegenüber.


    Sylvia trat um das junge Mädchen auf dem Boden herum und musterte sie. Dann blickte sie zu d'Eon.


    "Du sagtest ja, sie hat Talent. Mit dem richtigen Lehrer..."


    "Hey!" Mary unterbrach das Gespräch der beiden Fremden.


    "Ich bin anwesend, ich kann reden und langsam werde ich sauer."


    Sie rappelte sich auf und funkelte den Mann böse an. In ihrer Wut bemerkte sie gar nicht, dass ihr englische Akzent durchbrach und sie eigentlich den Mund halten sollte.


    d'Eon schmunzelte.


    "Interessant, eine Engländerin ... Sylvia, ist nicht vor kurzem ein englisches Schiff gekapert worden im Hafen?"


    In diesem Moment erschrak Mary, sie hielt sich beide Hände vor den Mund und starrte mit aufgerissenen Augen auf das ungleiche Pärchen. Jetzt war sie geliefert. Sie sank zu Boden und blickte ängstlich umher.


    Sylvia hockte sich hin, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. Sie streckte ihre Hand aus und blickte Mary beruhigend an.


    "Keine Angst, bei uns bist du sicher. Nimm meine Hand und wir werden dich in eine neue Welt führen, in der du keine Angst mehr haben musst."


    Ihre sanfte Stimme beruhigte die Engländerin und zögernd nahm diese, die, ihr angebotene, Hand. d'Eon nickte zufrieden und ging weiter, während Sylvia Mary aufhalf und sie unter ihren Mantel nahm.


    "Zuerst muss sie mal gewaschen werden, neue Kleidung, was zu essen und zu trinken. Haare frisieren ..." - "Hör auf d'Eon, du verunsicherst sie noch mehr. Sie kommt erstmal mit und isst erstmal was anständiges. Danach muss sie sich ausruhen und dann gehen wir deine Liste an."


    d'Eon drehte sich um und blickte Sylvia mit einer erhobenen Augenbraue an.


    "Nicht frech werden, kleine Schülerin." erwiderte er scherzhaft, an Mary gewandt, sprach er weiter. "Ich bin d'Eon, auch gerne als Madame de Beaumont bekannt und die neben dir ist meine Schülerin Sylvia. Willkommen in der Familie."

    Nikole wartete am Haupttor des Schlosses von Versailles auf die Ankunft von Anette de Boize. Sie war für heute angekündigt. Hinter ihr stand der Graf von Fersen und der Marquis de Lafayette. Alfred stand neben ihr. Nikole fand diese Aufwartung übertrieben und würde die junge Heilerin vielleicht einschüchtern, aber der Marquis hatte es sich nicht ausreden lassen und auch der Graf war neugierig. So hatte Nikole sich geschlagen gegeben. Sie selbst trug ein einfaches Kleid aus dunkelgrünem Stoff. Dazu trug sie ihre bequemen Winterstiefel und einen langen Mantel in dunkelrot. Das Tor öffnete sich und eine Kutsche fuhr ein. Als diese hielt, eilte Alfred vor und nahm Nikole ab, die Tür zu öffnen. Nikole verstand nicht, wieso man ihr immer noch alles abnehmen wollte, sie war immerhin keine Comtesse mehr. Dennoch trat sie vor und lächelte, als sie Anette sah. Sie war tatsächlich etwas eingeschüchtert, doch als sie die Dame de Florence sah und erkannte, erhellte sich ihr Gesicht.


    "Willkommen im Schloss Versailles, Anette. Es ist schön, dass du nun hier angekommen bist und ich, ..." nach einem Räuspern aus der hinteren Reihe verbesserte sich Nikole ".. und wir hoffen, du findest hier ein neues Zuhause."


    Sie reichte Anette die Hand, während Alfred das wenige Hab und Gut an sich nahm. Der Kutscher wendete und fuhr davon, während Nikole einen grünen gefütterten Leinenmantel über Anettes Schultern warf.


    "Dies ist ein Geschenk der Königin. Komm, ich führe dich nun in deine Räumlichkeiten."


    Nikole dirigierte Anette einen langen Gang entlang und erklärte einiges, während des Weges. Anette lauschte aufmerksam und prägte sich alles ein. Vor einer großen Flügeltür hielt Nikole an. Alfred drückte die Türklinke hinunter und öffnete die Tür. Die Räumlichkeiten bestand aus 2 Räumen und einem eigenen Badezimmer. Anette staunte nicht schlecht.


    "Das ist alles für mich?"


    Nikole lächelte und nickte. Sie führte Anette in den großen Wohnraum. Alfred stellte die Taschen in das Schlafzimmer.


    "Schau dich in Ruhe um, der Kleiderschrank wurde persönlich für dich eingerichtet, von der Königin und von mir. Wenn du etwas brauchst, kannst du Alfred oder mir Bescheid geben. Die Boten wissen Bescheid, wo sie uns finden."


    Damit nickte Nikole Anette noch einmal zu und verließ die Räumlichkeit. Alfred folgte, allerdings drehte er sich an der Tür um.


    "In 1h bekommst du etwas zu Essen gebracht."


    Nun war Anette alleine und sie strich vorsichtig mit ihren Händen über die samtenen Bezüge der Couch und der Sessel. Ein wenig letztes Tageslicht drang durch die großen Fenster in die kleine Wohnung. Anette drehte sich einmal im Kreis und öffnete dann die Tür zum Badezimmer. Der Boden war weiß gekachelt mit goldenen Rändern, eine Waschschale in schönstem Marmor, eine Badewanne und alles andere, was ein Bad benötigt. Anette verließ das Badezimmer und ging ins Schlafzimmer. Ein riesiges Himmelbett, in dem bestimmt noch 5 andere Leute mit Platz haben könnten, thronte in der Mitte. An der linken Seite war ein großer Kleiderschrank, an der rechten Seite ein Spiegel. Anette ging zu dem Spiegel und blickte hinein. Sie kannte kleine Spiegel, wo sie ihr Gesicht sehen konnte, aber ihren ganzen Körper?


    Sie fühlte sich angesichts dieser Pracht klein und drehte sich zum Kleiderschrank. Zögerlich ging sie darauf zu und zog eine Tür auf. Ein Schwall von Seide, Tüll, Samt und Leinen, Knöpfe, Bänder sprangen ihr entgegen. Es raubte ihr den Atem und sie musste 2-3 Schritte zurück gehen. Das sollte ihr Kleiderschrank sein? Anette ließ sich auf das Bett nieder und konnte es nicht fassen. Im Haus der Heilung hatte sie immer gehofft, dass sie ein einigermaßen gutes Leben führen könnte, dass sie nun tatsächlich ein königliches Leben führen könnte... damit hatte sie nicht gerechnet.


    Es klopfte an der Tür und Anette öffnete. Ein Diener stand vor der Tür mit einem großen Tablett. Anette trat zur Seite und ließ ihn ein. Er stellte das Tablett auf den Tisch, musterte Anette kurz und verließ sie dann. Anette blickte zum Tablett und spürte, wie ihr Magen knurrte. Sie setzte sich hin und nahm die Haube ab. Es roch lecker und Anette begann zu essen. Sie musste sich am Riemen reißen, denn hier würde ihr niemand das Essen wegnehmen. Hier müsste sie nicht warten, bis die anderen fertig waren und hier bekam sie nicht nur die Reste. Hier war sie die erste und einzige und das Essen war einfach fantastisch.

    Der Marquis trieb seinen Schimmel an und holte zu Nikole auf.


    "Und warum ist sie jetzt nicht mitgekommen?"


    "Sie muss noch ausgebildet werden. Mit ihrem jetzigen Wissensstand kann sie der Königin noch nicht helfen, aber in ein paar Monaten wird sie soweit sein."


    Die beiden kamen am Schloss an, gaben die Pferde am Stall ab und dann trennten sich ihre Wege. Während der Marquis zu den Soldaten ging, bewegte sich Nikole zu den Räumlichkeiten der Königin.


    "Dame de Florence."


    Eine tiefe melodische Stimme ertönte hinter ihr und sie blieb stehen, drehte sich um.


    "Graf von Fersen. Ich wusste nicht, dass ihr wieder im Lande seid."


    Er deutete eine Verbeugung an und nickte mir zu.


    "Geht ihr zur Königin? Darf ich euch begleiten?"


    Er bot ihr seinen Arm an und Nikole hakte sich ein. Sie nickte leicht und zusammen näherten sie sich der großen Flügeltür. Er blieb stehen.


    "Ich werde meine Audienz nach euch einfordern."


    Nikole knickste kurz und klopfte dann an die Tür, ehe sie diese aufdrückte und eintrat.


    Das Gespräch war nur kurz, doch die Augen der Königin leuchteten, als sie die Neuigkeit erfuhr. Sie bedankte sich überschwänglich und dann verließ Nikole den Raum und machte für den Grafen Platz.

    Die Königin war ungehalten wie immer. Alle Diener hatten sich verzogen, denn in dieser Stimmung wollte niemand in ihrer Nähe sein. Nikole stand neben der großen Flügeltür und hielt es als einzige dort wirklich aus. Die Tür ging auf und der Arzt stolperte rückwärts heraus. Er verneigte sich panisch mehrmals, blickte Nikole ängstlich an, drehte um und rannte los. Nikole seufzte. Sie war bereits keine Comtesse mehr, dennoch war sie eine der vertrautesten Personen der Königin. Sie klopfte und trat ein. Die Königin drehte sich um und funkelte die Dame de Florence böse an, doch als sie erkannte, wer in der Tür stand, beruhigte sie sich wieder. Sie winkte und Nikole trat ein.


    "Meine Königin. Ihr solltet den Arzt nicht so behandeln."


    Die Königin schritt wütend von links nach rechts und zurück.


    "Sagt mir, Dame de Florence, obwohl ihr keine Comtesse mehr seid, will euch jeder hier behalten."


    Nikole kannte diese Ansage. Die Königin verstand nicht, wieso sie, eine einfache degradierte Comtesse so hoch beim Marquis im Rang stand. Die Königin hatte sie degradiert und gehofft, dass sie das Schloss verlassen würde, doch es kam anders.


    "Dame de Florence, ihr habt doch so einen guten Kontakt. Kennt ihr nicht jemanden, der mir helfen kann, besser helfen kann, als dieser Quacksalber?"


    Nikole, gerissen aus ihren Gedanken, blickte auf.


    "Nein, im Moment nicht, aber ich kann mich gerne umhören, wenn es euch beliebt."


    Die Königin nickte und wandte sich ab. Nikole verbeugte sich und verließ den Raum. Alfred stand draußen und blickte sie an.

    "Lass mein Pferd satteln. Ich reite in die Stadt."


    "Alleine?"


    Nikole nickte.


    "Ja, das muss ich alleine machen."


    Damit wandte sie sich um und eilte in ihr Gemach, um sich umzuziehen.


    *****


    Die Hufen des Rappen donnerten auf dem Boden, als das Pferd in vollem Galopp Richtung Paris rannte. Nikole hielt die Zügel nicht kurz, denn sie brauchte jetzt den Wind in ihrem Gesicht. Die kühle Luft brachte ihre Augen zum Tränen, doch das merkte sie nicht, denn die Wangen waren schon erfroren. Als sie die ersten Dächer sah, nahm sie die Zügel auf und zwang den Hengst in einen langsamen Galopp, von dort in einen Trab und dann in den Schritt. Kurz vor Paris hielt sie den Hengst an. Sie ließ ihn drehen und wartete. Am Horizont tauchte ein einzelner Reiter auf auf einem weißen Pferd. Diabhal schnaubte und stieg kurz, doch Nikole brachte ihn schnell wieder runter.


    "Marquis de Lafayette."


    Der Marquis hielt sein Pferd an und neigte kurz den Kopf.


    "Als ich hörte, dass ihr nach Paris reitet, alleine, fand ich das nicht besonders klug."


    Nikole wusste, dass eine Diskussion nichts brachte und beließ es dabei. Sie wendete den Schwarzen und ritt in die Stadt. Der Schimmel folgte. Die Dame de Florence bog in eine Seitengasse ein und hielt zielstrebig auf ein großes Haus zu. 2 Jungen eilten heraus und nahmen die Pferde entgegen.


    "Wo finde ich die Leiterin des Hauses?"


    Der Junge zeigte auf den oberen Stock und erhielt für die Antwort einen Silberling.


    "Passt gut auf die Pferde auf, sonst kriegt ihr Ärger."


    Nikole hob die Augenbraue leicht, als sie den Satz vom Marquis hörte, sagte aber nichts. Sie schritt auf die große Flügeltür zu, zog ihre Handschuhe aus und drückte die rechte Seite auf. Der Marquis folgte. Sie gingen durch lange Gänge, die nur durch die Fenster beleuchtet waren. Der Marquis blieb stets hinter der Dame de Florence und beäugte die Türen, die an der linken Seite, gegenüber der Fensterreihe, angebracht waren.


    "Ihr braucht keine Vorsicht hier. Dies ist ein Haus der Heilung. Hier droht uns keine Gefahr."


    Nikole blieb vor einer großen Tür stehen, die im Gegensatz zu den anderen Türen braun war. Sie klopfte an, wartete etwas und drückte dann die Türklinke nach unten. Die Tür schwang lautlos auf und gab den Blick auf ein Büro frei, welches freundlich und warm eingerichtet war. Eine ältere Frau mit fast weißem Haar blickte vom Schreibtisch auf und ihre Augen fingen an zu leuchten. Sie erhob sich schnell, strich die weiße Robe glatt, richtete die weiße Haube auf dem Kopf und machte eine einladende Bewegung in Richtung der Tür, doch dann stutzte sie.


    "Madame?"


    "Es ist in Ordnung, Madame Valenzia. Dies ist der Marquis de Lafayette, der zu meinem Schutz mitkam."


    Madame Valenzia nickte und bat die beiden herein.


    "Tee?"


    Nikole nickte. Die Dame trat hinter dem Schreibtisch hervor und eilte zu einer Nebentür.


    "Tee und 4 Tassen. Wir haben Besuch und hole bitte Anette zu mir."


    Sie schloss die Tür und kehrte zurück zum Tisch. Nikole zog einen Brief unter ihrer Jacke hervor und reichte diesen weiter. Ein leises Knacken ertönte, als sie das Siegel brach und über die Zeilen flog, dann legte sie den Brief nieder. Der Marquis blieb stehen und beobachtete die Szene. Er war keinesfalls beruhigt, doch hatte er schon mitbekommen, dass dieses "Haus der Heilung" nicht bösartig war. Nur was hatte die Dame de Florence mit diesen Leuten zu tun? Daraus wurde er immer noch nicht schlau, doch ehe er darüber nachdenken konnte, öffnete sich die Seitentür und die Assistentin kam herein, gefolgt von einem sehr jungen Mädchen.

    Rückblickend betrachtet ist das Schloss von Versailles die einzige Heimat die ich kenne. Aber fangen wir von vorne an.


    Geboren bin ich als Nikolette de Bourgeois in den Mauern vom Schloß. Meine Mutter war die Tochter eines reichen Kaufmannes, der durch diese Heirat noch reicher wurde. Mein Vater war ein sehr enger Vertrauter des Königs Louis dem XV. Als Sohn hätte ich Ehre und Ruhm in den Schlachten gewinnen können, so war ich nur eine Tochter, die man schnellstmöglich an den erstbesten Adligen verheiraten musste. Aufgewachsen im Schloss wurde ich jedoch nicht nur in den Lehren einer guten Ehefrau erzogen, sondern auch in den Lehren der Männer, reiten und kämpfen und so manches mal auch bei den Soldaten mitfeiern, als ich älter war. Mein Gönner war der Comte de Florence, ein sehr hoch geschätzter und Eindrucksvoller junger Adliger. Während ich also meine Unterrichtsstunden nahm, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Comte und ich heiraten würden. Nun ja, eigentlich war es eine Frage des Alters. Meine Eltern hatten zwar einen anderen Ehemann für mich im Auge, aber wie konnte man einem Comte eine Absage mitteilen, ohne dass man den König damit verletzte, denn der Comte de Florence war ein ferner Verwandter des Königs und so gaben sich meine Eltern geschlagen und ich trat mit jungen 14 Jahren in die Ehe. So wurde aus mir die Comtesse de Florence und meine Eltern gingen relativ leer aus, denn der König hatte schon bald mitbekommen, dass meine Eltern gegen ihn arbeiteten. So war es auch kein Wunder, dass kurz nach meiner Eheschließung meine Eltern des Hofes verwiesen und der Name de Bourgeois aus den Schriften des Königshauses verbannt wurde. Da nun mein Geburtsname nicht mehr existierte, änderte ich auch meinen Vornamen von Nikolette auf Nikole um.


    Und hier beginnt meine wahre Geschichte.


    Als Comtesse de Florence besaß ich großen Einfluss am Hofe selbst und wurde so manches mal von meinem Mann auch in politischen Dingen gefragt.


    "Nikole, Liebste, lass uns ausreiten. Der König schickt mich, um neue Soldaten zu finden und ich möchte, dass du dabei bist."


    Ich blicke von meiner Stickarbeit auf und lächele ihn an.


    "Sehr gerne. Weißt du eigentlich, dass wir heute, vor genau 4 Jahren geheiratet haben?"


    Comte Jean-Louis de Florence, mein Ehemann, seit 4 Jahren. Heute ist mein 18. Geburtstag und ich habe angefangen ihn wirklich zu lieben. Er ist lieb und zuvorkommend und behandelt mich wie eine Königin. Er reicht mir seine Hand und ich nehme sie dankend an. Sein Blick gleitet an meinem Körper entlang, dann räusperte er sich.


    "Meine Königin ... ich warte draußen auf dich, zieht euch etwas bequemes zum Reiten an."


    Er drückt mir einen sanften Kuss auf die Stirn und verlässt den Raum. Mein Herz wummert wie verrückt in meiner Brust. Er hat mich all die Jahre in Ruhe gelassen, mich nie bedrängt und doch wusste ich, dass er es kaum erwarten konnte. In aller Schnelle tausche ich mein Kleid gegen eine Lederhose, dazu passende Stiefel und eine Rüschenbluse in einem hellen pastellfarbenen Grün. Im vorbeigehen greife ich mir meine Leder Handschuhe und ein Tuch, welches ich mir über meine Haare streife. Draußen angekommen, muss ich kurz blinzeln und bleibe überrascht stehen. Jean-Louis steht neben einem prachtvollen schwarzen Hengst und nickt mir zu.


    "Dies, meine Herzdame ist mein Geschenk für dich, zu deiner Volljährigkeit. Sein Name ist Ardanwen, dies bedeutet Nachtwind und er wird dich treu in jeder Lebenslage begleiten."


    "Für mich? Wirklich?"


    Ich gehe auf den Hengst zu und streichle ihm sanft über seine Nüstern. Der Hengst schnaubt und reibt seinen Kopf an meiner Schulter. Ich nehme die Zügel auf und trete an seine Seite. Ein Fuß in den Steigbügel, oben am Sattelrand festgehalten, ein Stoß mit dem anderen Fuß vom Boden und schon sitze ich auf dem Rappen. Jean-Louis besteigt gerade seinen Dunkelbraunen und nickt mir zu. Ich schnalze kurz und der Hengst setzt sich in Bewegung. Mein Mann folgt mir.


    "Wo wollen wir denn hin?"


    Der Comte zieht einen Brief aus seiner Jacke und reicht ihn mir. Ich entfalte ihn mit einer Hand und überfliege die Zeilen. Ich reiche ihm den Brief zurück.


    "Ein Marquis?"


    "Ja. Er wird auf Bitten des Königs zum Hofe zitiert, als Begleitung des Prinzen. Und wir werden ihn abholen und zurück begleiten. Oder wünscht ihr zuhause zu bleiben?"


    Ich schüttele den Kopf.


    "Nein, mein Liebster, ich reite gerne mit euch."

    Der Sommer in Paris wurde immer als legendär bezeichnet, Sylvia verstand nie genau warum, doch sie konnte verstehen, dass die Franzosen ihr Land so liebten.


    Sylvia saß mit ihren Eltern in Frankreich, am Seine-Ufer und ließen sich von den ersten Sonnenstrahlen wärmen, die es an diesem Tag gab. Sylvia liebte ihre Eltern und sie wurde auch umsorgt und geliebt, wie es auch sein sollte.


    Sylvia stand am Seine-Ufer, jetzt 10 Jahre später und alles hatte sich verändert. Nach der Scheidung ihrer Eltern, wollte die Mutter sie auch nicht mehr und so wurde aus dem einst so adligen Kind eine ausgesetzte arme Waise. Sie änderte ihren Namen und wollte nur noch sterben, doch eine recht seltsame Person machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Der Name der Person lautete eigentlich Charles d'Eon de Beaumont, doch nachdem er jahrelang als Spion in Frauenkleidern umherwanderte, nannte man ihn nur noch Madame de Beaumont. Er fand Sylvia hungrig und abgemagert auf den deutschen Straßen und nahm sie kurzerhand mit. Er lehrte ihr das Handwerk der Spionage und päppelte sie auf. Gab ihr zu essen und ein Heim. Essen und Kleidung. Sie lernte schnell und sie machte d'Eon alle Ehre.


    Mit 21 setzte d'Eon Sylvia oft auf reiche Kaufleute an, die für eine hübsche Begleitung oftmals mit dem leben bezahlten, doch diese waren auch ebenso gut zu verführen und auszunehmen und die Beute wurde gerecht geteilt. Und eben so ein Auftrag hätte Sylvia fast das Leben gekostet.


    *****


    Sylvia blickte sich im Spiegel an. d'Eon hatte ihr ein neues Kleid geschenkt, welches ihre grazile Figur noch unterstrich und ihr Haar und ihre feinen Gesichtszüge betonte. Sie drehte sich bestimmt zum zwanzigsten Mal vor dem Spiegel. Das Kleid war aus feinster Seide und feinstem Brokat genäht. Um den Hals trug sie eine Kette mit Blattgold verziert. Ihre schlanken Armgelenke wurden von schneeweißen Seidenhandschuhen umschmeichelt.


    "Herzlichen Glückwunsch, meine liebste Sya."


    d'Eon hatte es sich abgewöhnt, Sylvia bei vollem Namen zu nennen, er war ihm einfach zu lang und so hatte er es auf Sya abgekürzt.


    "Geh und amüsiere dich heute Abend und pass auf dich auf."


    Er drückte Sya noch eine Geldbörse in die Hand.


    "Gib nicht alles auf einmal aus."


    Sya umarmte d'Eon, bedankte sich mit einem Kuss auf die Wange und eilte hinaus. Vor einigen Wochen war eine weitere Schülerin bei d'Eon angekommen und auch Sya hatte lange darum gebettelt, dass sie Mary mitnehmen durfte, bis d'Eon seufzend nachgegeben hatte. Nun saßen die Freundinnen in der Kutsche und fuhren zu einem Maskenball. Es war aufregend, denn es war für beide jungen Frauen das erste Mal. Obwohl Mary noch ein halbes Kind war, hatte sie sich doch viel abgeschaut von Sylvia und wirkte nach außen hin genauso erwachsen.


    Beim Maskenball angekommen, bezahlte Sya den Kutscher und lauschte aufgeregt den gedämpften Klängen der Musik, die sanft aus dem Palais drangen.Sya ergriff Marys Hand und zog sie nach vorne,


    "Nicht so unsicher. Niemand denkt, dass du zu jung hier bist. Lass uns feiern."


    Mary schluckte und nickte dann, im Gegensatz zu Sya war sie doch erst am Anfang ihrer Lehre und wusste noch nichts über die Welt, ihre Gefahren und die Männer, die hier rumliefen, doch vor Sya wollte sie nicht als feige dastehen und so atmete sie tief ein und lief hinter ihrer Freundin her. Doch es geschah, wie es geschehen musste. Im dichten Gedränge der Gäste verloren die beiden sich schnell aus den Augen und während Sya sich amüsierte und dennoch kurzzeitig immer wieder nach Mary Ausschau hielt, zog sich die verängstigte Mary in eine dunkle Ecke zurück und wartete.


    Die Tanzfläche war voll und Sylvia genoss die Blicke, die sie auf sich zog. Der ein oder andere Adlige oder auch reiche Mann gab ihr etwas zu trinken aus, stahl ihr einen Kuss und verschwand wieder in der Menge, doch es gab einen einzigen, der Sylvia den ganzen Abend nicht aus den Augen ließ.


    *****


    Mary schlich sich, durchnässt und traurig in das Haus zurück und verschwand in ihrem Zimmer. Sie hatte Sylvia nicht mehr gefunden und war nach Hause gegangen, nicht wissend, dass sie vielleicht hätte helfen können, wäre sie noch geblieben.


    Sylvia lehnte schwer atmend an einer Säule. Tief in ihr drin versuchte eine kleine Stimme sie dazu zu bewegen, Mary zu suchen, doch der Alkohol, den sie getrunken hatte, die Anstrengung und der Rausch der Begierde ließen diese Stimme schnell verstummen. Als Sylvia sich umdrehte, stolperte sie leicht und fiel in die Arme eines jungen Mannes, den sie noch nie gesehen hatte. Sie hob den Kopf und blickte in tiefe hellblaue Seen. Der Fremde schien sich nicht sehr wohl hier zu fühlen, doch auch er konnte den Blick nicht abwenden. Plötzlich geschah es, noch während er Sylvia zu einem festeren Stand verhelfen wollte, wurde er an der Schulter gepackt und zu Boden gerissen. Der Angreifer war doppelt so breit und um einiges größer.


    "Was hat ein Diener aus dem Schloss hier zu suchen. Will er sich vielleicht lächerlich machen?"


    Es wurde kurz still, dann folgte Gelächter. Sylvia begriff. Der Fremde schien weder adlig noch reich zu sein, doch es störte sie nicht. Sie wollte zu ihm hin und ihm aufhelfen, doch der Rüpel griff sie an der Taille und zog sie zurück. Egal wie sehr sie sich wehrte, sie hatte keine Chance und sie bekam es auf einmal mit der Angst. Der Griff wurde fester und die andere Hand strich ihr über den Rücken. Sya wehrte sich, so gut es ging, doch gegen diese Kraft hatte sie keine Chance. Für eine kurzen Moment sah sie sich irgendwo tot in einer Ecke liegen. Ein grausiger Atem aus Alkohol, Süßem und Rauch schlug ihr entgegen. Sie schloss die Augen, doch es geschah nichts. Stattdessen wurde sie los gelassen. Als sie zögernd die Augen öffnete, stieß der Gast sie weg und sie landete unsanft auf ihrem Hinterteil. Sofort wurde ihr eine Hand entgegen gestreckt. Noch immer benommen sah sie hoch und erkannte die hellblauen Augen. Sie ließ sich hochhelfen und er führte sie weit abseits der Situation. Sie hatte nicht sehen können, wer da noch war, aber er schien ein Freund von ihrem Retter zu sein. In einem stillen Korridor blieben sie stehen.


    "Es tut mir leid, dass ich euch getäuscht hatte, Mademoiselle. Ich bin tatsächlich nur ein Diener. Mein Herr hat mich mitgenommen und mir gesagt, ich solle mich mal amüsieren..."


    Noch bevor er sich um Kopf und Kragen reden konnte, gab Sya ihm einen Kuss.


    "Danke. Es ist mir egal, wer oder was ihr seid. Ihr seid für mich mein Retter heute Abend."


    Alfred, denn so hieß der Diener lief knallrot an und stotterte dann:


    "Ich heiße A ... Al ... Alffff ... ähm Alfred"


    "Ich heiße Sylvia Ich würde mich freuen, wenn ihr heute Abend meine Begleitung sein könntet. bei euch fühle ich mich sicher."


    Alfred verneigte sich, wie es für einen Diener gerecht war und bot Sylvia seinen Arm an.


    *****


    "SYLVIA?"


    Sya zuckte zusammen. Seit dem Ball hatte sie viele Tagträume und in allen ging es um Alfred und so war es kein Wunder, dass d'Eon sie in dieser Unterrichtsstunde schon zum 5. Mal anschrie. Schuldbewusst senkte sie den Kopf. Seit dem Ball hatte sie immer wieder mal Briefe oder kleine Geschenke, meist Blumen, getrocknet oder frisch erhalten. und mit jedem weiteren Brief sehnte sie sich zu ihm. Auch d'Eon und Mary merkten, dass Sylvia definitiv gedanklich nicht bei der Sache waren. Also hob d'Eon aufgebend die Arme und beendete den Unterricht.


    "Komm Mary, wir beide trainieren jetzt mal alleine. Sylvia kennt die Lektionen ja schon."


    Damit wandte er sich ab und führte Mary hinter das Haus.


    "Mademoiselle?"


    Sylvia blickte auf und schirmte ihre Hand vor der Sonne ab. Vor ihr saß ein berittener Bote. Sylvia erhob sich und ging so, dass die Sonne sie nicht mehr blendete.


    "Ja?"


    "Ich soll euch diesen Brief aus Versailles überbringen. Es wird der letzte sein."


    Er übergab Sylvia einen kleinen Umschlag und ritt weiter. Der Letzte? Hatte der Bote gesagt, es wäre der letzte Brief? Hastig öffnete sie das Siegel und laß die Zeilen. Sie stammten nicht von Alfred, sondern von einer Dame de Florence. Sie schrieb, dass Alfred schwer krank geworden sei und für eine Weile nicht im Schloss sei. Er habe sie gebeten, seiner Herzensdame mitzuteilen, dass es vorerst keine Briefe mehr geben würde. Als Zeichen der Echtheit, lag eine getrocknete weiße Rose mit im Brief. Des weiteren schrieb die Dame de Florence, dass, sobald sie mehr über den Zustand Alfreds wüsste, sie sofort einen weiteren Boten schicken würde, um Sie, Sylvia zu Informieren. Bis dahin bat Alfred darum, dass Sylvia auf sich aufpassen solle und ihn nicht vergesse.


    *****


    Die Genesung und die Rückkehr Alfreds zum Schloss sollte erst knappe 5 Jahre später passieren und der Brief an Sylvia verlief ins Leere, denn d'Eon war mit seinen Schülern schon lange in eine andere Behausung gegangen, so war es kein Wunder, dass Sylvia bis zu jenem Tage vor dem Haus der Entführer nichts mehr von Alfred gehört hatte ...

    Ich spiele seit neuestem ein Handygame "Dress up! Time Princess"


    Hier schlüpfe ich in verschiedene Rollen. Die erste Rolle ist "Marie Antoinette". Ich kann ihr Schicksal verändern, oder?


    Ich möchte eine FanFiction schreiben über diese Geschichte mit den dort Beteiligten. Ich werde hier allerdings NICHT als Marie Antoinette fungieren, sondern als eine aussenstehende weitere Person.


    Dieses Kapitel gehört zu den so genannten "Ungenannten Kapiteln", gestrichen und verschwiegen von der königlichen Familie:


    - Marguis de Lafayette

    - Marie Antoinette

    - Louis Auguste XVI

    - Graf von Fersen

    - Alfred der Diener

    - d'Eon de Beaumont


    und weiteren Charakteren (direkt aus dem Handy game Dress Up! Time Princess)


    - Nikole de Florence (ehemalige Adlige, degradiert zur Bediensteten)

    - Aria de Quor (sich einsetzende Hofdame, die viel Ärger bereitet aber auch SEHR überzeugend ist, egal in welcher Richtung)

    - Sylvia Le Nynion (Spionin unter d'Eon)

    - Annette Anderson (noch in der Findung

    - Maria Lillith (Spionin unter d'Eon)

    IV.III


    Der Weg zurück zum Schloss verlief ereignislos. Der Marquis hielt seinen Hengst etwas zurück und wechselte so an die Seite von Nikole. Er zog die Zügel leicht an und der schwarze Hengst schnaubte unwillig.


    "Du musst dich mehr beherrschen Nikole. Das ist auch der Grund, warum die Dauphine dir den Titel aberkannt hat."


    Nikoles Augen blitzten.


    "Nein, sie hat in mir aberkannt, weil ich mich zu gut mit euch verstehe Marquis. Sie war eifersüchtig und hoffte mich so aus dem Schloss zu vertreiben, doch ihr habt ihr die Rechnung versaut."


    Der Marquis zog eine Augenbraue hoch und blickte kurz nach vorne, ehe er die beiden Pferde noch mehr zügelte. Verfolgt vom eifersüchtigen Blick der Dauphine. Nikole nahm die Zügel auf und ließ ihr Pferd stoppen. Der Marquis reagierte schnell und hielt ebenfalls an. Während die Gruppe weiterritt, blieben beide zurück.


    "Sie gönnt mir nicht, dass ich euch so viele gute Leute gab und in eurem Ansehen so gestiegen bin, Marquis."


    de Lafayette seufzte.


    "Ihr habt ein wahres Talent, Mylady, sollte ich wirklich akzeptieren, dass so etwas wichtiges vom Schloss verbannt wird?"


    Nikole lächelte leicht gequält, doch dann sah sie es aus dem Augenwinkel. Eine Bewegung, ein Zischen ertönte und Nikole trieb den Hengst an. Dieser machte einen Satz nach vorne, drängte den weißen Hengst zur Seite und Nikole befand sich direkt vor dem Marquis. Dieser war so überrascht, dass er nicht mitbekam, warum das geschah. Er nahm die Zügel auf und hielt sich im Sattel, während sein Reittier leicht scheute. Der Armbrustpfeil bohrte sich tief in die Rippen der Mylady ein und blieb stecken. Ein ersticktes Keuchen erklang und Nikole biss die Zähne zusammen. Sie griff in die Mähne des Schwarzen, um sich zu halten. Jetzt erst sah der Marquis den Pfeil und ein Ruf ertönte. Noch ehe der Schütze reagieren konnte, war er umstellt und der Marquis zog seine erste Dame auf sein Pferd. Blut sickerte aus der Wunde. Nikole schluckte schwer.


    "Ihr seid bei euren Leuten gut aufgehoben. Francoise und Alfred, Saphira, sie werden euch stets folgen. Der Schwarze, gebt ihn Saphira."


    Ihr Blick flackerte, dann entwich das Leben aus ihrem Körper.


    Der Marquis trug den toten Körper zur Kutsche und ließ ihn hineingleiten. Als Anette sich kümmern wollte, hielt er sie ab und schüttelte den Kopf.


    "Es ist zu spät."


    Seine Stimme klang erstickt.


    Schweigend ging es zum Schloss zurück. Der Marquis gab den Rappen an Saphira weiter und teilte ihr mit, dass sie nun zur berittenen Abteilung wechseln würde.

    IV.II

    Der Weg zurück zum Schloss verlief schweigsam. Nikole hatte man das Schwert weggenommen und der Marquis führte ihren Hengst an den Zügeln. Sie war zwar keine Gefangene, aber man musste sie vor sich selbst schützen. Nikole's Mimik sagte alles, aber sie ließ es geschehen. Sie hatte sich noch nie gegen den Marquis gewendet, weder als Adlige, noch als Dame, also blieb sie ruhig und ließ es geschehen.


    Die Entführer waren gefangen, doch der Anführer war verschwunden, kein Soldat hatte ihn gefunden und doch wusste jeder, dass er auftauchen würde, aber die Soldaten waren sich sicher, Sie hatten die Dauphine gerettet und nun würde alles gut werden und so ließ die Achtsamkeit nach. Die Freude war groß, die Dauphine war in Sicherheit und gerettet und die Bösen Menschen in Gefangenschaft. Das auch hier ein Anführer war, war niemandem bekannt, bis jetzt.


    Nikole hatte diese Ahnung, aber niemand hatte ihr geglaubt und so war sie nun zum Warten verdonnert, aber sie spürte es in der Luft und Nikole wusste, heute wäre es soweit ...


    Die Gruppe näherte sich dem Tor zum Schloss Versailles und die Stimmung war perfekt. Selbst der Graf und der Marquis ließen sich anstecken, leider zu leicht. Nikole runzelte die Stirn. Die Dauphine war gerettet, aber die Rettung war zu einfach, viel zu einfach und vielleicht war dies ihre Chance ...

    Hauptcharaktere: Saphira de Lumière & Marquis de Lafayette

    Nebencharakter: Nikole de Florence


    Der Traum der Jungen war es, einmal als Soldat im Schloss zu dienen. Die Mädchen wollten meist nur verheiratet werden, am Liebsten mit dem Marquis oder dem Grafen, doch Saphira war da anders. Sie wollte schon immer ein Soldat werden, wollte schon immer in die Garnison zum Marquis, doch ihre Eltern waren nicht einverstanden. Während sie versuchten Saphira das Wichtigste als Frau beizubringen, das Kochen, Nähen und Putzen. Kleider und Schuhe, Schminke und Frisuren, doch Saphira raufte lieber auf dem Hof mit den Jungs, zeigte ihnen, was sie konnte, stach sie im Holzschwertkampf aus und zog sich schon an, wie ein Junge. Als Kind ließ man ihr das durchgehen, doch jetzt, wo sie zu einer jungen Frau reifte, wurde ihr das immer mehr zum Verhängnis.


    Während andere junge Frauen in ihrem Alter sich darstellten, um den Heiratswilligen Männern zu gefallen, glitt Saphiras Blick immer zum Schloss. An diesem Tag war etwas anders, sie spürte es und sie würde es auch bald erfahren, als ihre Mutter hinein kam ins Zimmer.


    "Los Saphira, du bist noch nicht fertig? Wie unhöflich."


    Die Familie war nicht besonders reich, gehörte aber auch nicht zu den Armen in Paris. Sie waren gut situiert und besaßen sogar einige Diener und Dienerinnen. Diese kamen nun, um Saphira vorzubereiten. Ein wohltuendes Bad, parfümierte Haare, ein schickes Kleid und ein viel zu enges Korsett. Saphira ließ alles über sich ergehen. Dann wurde sie geschminkt und frisiert. Saphira seufzte innerlich und verdrehte die Augen. Dies wurde jedoch nicht gesehen, da man ihr zu guter Letzt einen Schleier vor das Gesicht hängte. Sie war noch unschuldig und das musste bewahrt werden.


    Ihre Mutter zog sie mit in die Kutsche, die sie zum Schloss bringen sollten. Saphira ließ alles zu, denn immerhin war sie die einzige Tochter in der Familie, doch sie hoffte inständig, dass der Zukünftige nicht zu alt war.


    Die Kutsche passierte das Tor des Schlosses und Saphiras gleichgültige Miene verwandelte sich. Sie sah das Schloss von Innen und dann traf es sie wie ein Schlag. Auf dem Rasen salutierten die Soldaten und vor ihnen stand der Marquis de Lafayette. Saphiras Herz schlug schneller. Als die Kutsche abrupt stoppte, blickte ihre Mutter sie vorwurfsvoll an.


    "Kind, benimm dich."


    Saphira senkte den Kopf. Die Tür ging auf und Saphira atmete tief durch. Sie stieg aus und blickte sich unter dem Schleier um. Der Marquis hatte die Parade beendet und scheuchte seine Soldaten wieder zurück in die Kaserne. Ihre Mutter griff Saphira am Arm und zog sie mit sich. Saphira bekam gar nichts mehr mit, sie wurde in einen Stuhl gedrückt, man servierte ihr Tee und Kuchen. Saphira saß mit starrem Blick auf ihrem Stuhl und nippte an dem Tee, während ihre Mutter das "Verhandlungsgespräch" führte. Für Saphira war das die Hölle auf Erden. Der Auserwählte war zwar ein Adliger am Hofe des Königs, aber er war doppelt so alt wie sie und sah auch nicht unbedingt so aus, als würde er seine Frau gut behandeln. Sie erhob sich und entschuldigte sich, ehe sie den Raum verließ. Ihre Mutter blickte ihr ungehalten nach, doch der Adlige hob schlichtend die Hand.


    "Lasst sie ruhig. Sie ist noch jung. Schon bald wird ihr der Unfug aus dem Kopf verschwinden."


    Saphira war den Tränen nahe, als sie merkte, dass sie beobachtet wurde. Sie hob den Kopf und blickte einer etwas älteren Frau in die Augen. Sie wusste vom Hörensagen wer es war, doch sie hatte sie noch nie gesehen, bis jetzt. Die Frau näherte sich ihr mit gemäßigtem Schritte.


    "Sag mein Kind, was bedrückt dich so?"


    Ihre Stimme war weich und melodisch und Saphira hatte sofort Vertrauen gefasst.


    "Meine Mutter will mich vermählen. Aber ich will doch einfach nur ... kämpfen"


    Das letzte Wort hatte Saphira fast verschluckt, und sie wartete auf die nächste Rüge, weil sie sich nicht wie eine Frau verhalten wollte. Doch stattdessen bedeutete die Frau ihr zur folgen. Saphira tat, wie ihr geheißen. Auf einem Sandplatz fernab hielt die Frau an. Sie pfiff kurz und die Soldaten stoppten.


    "Jacques! Komm her, bring einen zweiten Degen mit."


    Der junge Mann, kaum älter als Saphira nickte und kam zu ihnen rüber. Er blickte zu ihr und Saphira wusste plötzlich, was passieren würde.

    IV.I


    Die Zügel knallten, die Pferde wieherten, rutschten kurz auf dem Asphalt aus und galoppierten dann los, nur wenige Meter weiter rissen die angeschnittenen Riemen und der Kutscher wurde vom Kutschbock gerissen. Ein heilloses Durcheinander. Ein weiterer Entführer ritt an die Kutsche heran, schnappte sich das Paket und war gerade im Begriff zu fliehen, als ein Reiter von vorne, auf einem schwarzen Hengst angeritten kam. Der überraschte Entführer riss an den Zügeln und sein Pferd strauchelte. In diesem Moment, kam ein weiterer Reiter aus der Dunkelheit, auf einem schneeweißen Pferd und riss dem Mann das Paket aus den Händen. Er zog es vor sich auf sein Pferd und ritt weiter. Der Marquis de Lafayette war erfolgreich gewesen. Er brachte die Geisel zu der Kutsche und zu Anette. Diese stand auf und begann die Geisel zu befreien. Unter den Seilen und den Leinen tauchte das Gesicht ihrer Dauphine auf. Erleichtert begann sie diese Frau zu untersuchen, doch ihr schien nicht viel zu fehlen. Keine Knochenbrüche, keine schwerwiegenden Verletzungen. Francoise und Alfred halfen ihr dabei.


    "Du wirst sterben, du gottloser Entführer."


    Nikole zog das Schwert und stieß dem Hengst die Fersen in die Flanken. Leicht aufbäumend schnaubte der Hengst und galoppierte los. Der Entführer konnte nicht mehr reagieren, er trieb sein Pferd zur Seite. Das Schwert rauschte nieder und durchtrennte den Sattelgurt. Mit einem lauten Schrei rutschte der Mann vom Rücken des Pferdes. Dieses wieherte erschrocken und trabte noch einige Schritte weiter. Die anderen Männer wurden schnell eingekesselt.


    d'Eon nickte Mary und Sylvia zu. Beide Frauen begaben sich zu dem Mann auf dem braunen Pferd und sprachen ihn an. Dieser neigte den Kopf und blickte die beiden an.


    "Wie kann ich euch helfen?"


    Sylvia ergriff das Wort.


    "Weiter hinten gibt es eine weitere Hütte, dort liegen 3 weitere Entführer gefangen."


    Der Graf hob den Kopf und sah d'Eon, dann nickte er. Er winkte seine Männer zu sich, gab einige Befehle und diese ritten los.


    "Ich danke euch meine Damen. Vielleicht beehrt ihr uns mit eurem Meister im Schloss."


    Er ließ sein Pferd drehen und warf Nikole einen langen Blick zu. Diese ritt an seine Seite und erwiderte den Blick.


    "Er lebt noch. Was wollt ihr?"

    IV


    In dem Moment. als die Entführer aufbrechen wollten, hörte man vielstimmiges Hufgetrappel von den Häuserwänden widerhallen. Doch nicht nur die Garnison war auf dem Weg, auch d'Eon und seine Schülerinnen hatten binnen kürzester Zeit das Versteck gefunden, welches die Entführer ihr Heim nannten, was aber noch viel wichtiger war. Mary hatte das zweite Versteck gefunden und Sylvia und sie hatten es sogar schon in Beschlag genommen. Die 3 Wachen, die sich dort befanden, waren Männer gewesen und Mary und Sylvia hatten sehr wohl das Talent den Männern den Kopf zu verdrehen. Nun saßen die drei gefesselt in einer Ecke im Wohnraum, während Mary und Sylvia Karten spielten, um sich die Zeit zu vertreiben.


    "Sagte d'Eon nicht, wir sollten uns hier nicht zu lange aufhalten?"


    Mary blickte sich um.


    "Außerdem ist das Dach undicht."


    Sylvia lächelte leicht und nahm einen Schluck aus dem Kelch.


    "Und der Wein schmeckt bitter. Ich glaube es ist gut. Wir sollten die drei knebeln und uns wieder zurück zu d'Eon begeben."


    Sie erhob sich und trat auf die drei bewusstlosen zu. Sie riss allen etwas Stoff ab und knebelte die Gefangenen.


    "Los jetzt. Bevor wir uns noch erkälten."


    Sie blies die Kerze aus und Mary und sie verließen die ungemütliche Hütte.


    "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sie die Dauphine in diesen Absteigen gefangen halten wollen. Widerlich"


    Die beiden Frauen schlugen sich in die Seitengassen, in denen sie sich auskannten und in denen sie unbeobachtet waren. So kamen sie schnell und ohne Probleme zurück zu d'Eon, der sie freudig in die Arme schloss.


    "Ihr seid gerade recht gekommen. Das große Finale beginnt gleich."


    d'Eon zwinkerte seinen Mädels zu und zog sie tiefer in eine dunkle Gasse und deutete auf die Ansammlung der Pferde und Kutschen vor dem Gebäude.


    "Des Königs Garnison ist unterwegs."

    III.III


    Die Tür der Behausung wurde aufgerissen. Die Gruppe sprang auf und die Stühle klapperten zu Boden.


    "Was sollte das Joshua."


    Der Schreck saß ihnen noch in den Gliedmaßen, weil sie im ersten Moment dachten, die Soldaten des Dauphins hätten sie entdeckt, doch langsam beruhigte sich der Herzschlag und eine gewisse Erleichterung machte sich breit. Der junge Mann, namens Joshua, stützte seine Hände auf die Oberschenkel und atmete tief durch.


    "Sie wissen es, ..."


    "Sprich lauter Joshua."


    "SIE WISSEN ES"


    Nun kam der 2. Schreck und eine leichte Panik machte sich breit.


    "Wir müssen hier weg, SOFORT."


    Bewegung kam in die Gruppe, eilig wurden die wichtigsten Sachen gepackt. 2 weitere setzten sich Masken auf, nahmen ein Seil und einen Sack mit. Nur kurze Zeit später trug der eine Mann ein Paket über der Schulter, welches sich ziemlich wehrte. Draußen wurden Kutschen vorbereitet und Lufaria stand in einer dunklen Ecke und beobachtete alles. Sie hatte gehofft, dass die Soldaten des Königs schneller da waren, doch sie hatte wohl zu spät Bescheid gegeben. Wie konnte sie die Banditen behindern. Sie hatte keine Lust noch einmal durch die halbe Stadt zu laufen, um herauszufinden, wo das 2. Versteck war. Als alle nochmal ins Haus rannten, wagte Lufaria den Vorstoß. Sie eilte zu den Wagen und schnitt die Riemen der Pferde an, die die Kutsche zogen, dann zog sie sich schnell in die Schatten zurück. Nun hieß es hoffen und abwarten.


    *****


    Die Pferde spürten die Unruhe. Die Gruppe um Graf von Fersen war bereit. Alfred, Francoise und Anette saßen in einer Kutsche, die Dame de Florence zog es vor, wie ein Mann zu reiten. Sie hatte ihr Kleid gegen bequeme Reitsachen getauscht. Ihr schwarzer Hengst schnaubte unruhig und als der Graf das Zeichen zum Aufbruch gab, setzte sich die Gruppe in Bewegung. Der Graf vorne weg, die Kutsche mit Saphira auf dem Kutschenplatz und Jacques daneben blieben in der Mitte. Nikole ritte relativ weit vorne mit. Sie hatte sich auch bewaffnet mit einem Schwert. Die Pferdehufe klapperten auf dem Boden und das Kutschenholz knarrte. Kurz vor dem Versteck teilte sich die Gruppe auf. Nikole und 2 weitere Soldaten bogen nach rechts ab, ein weiterer Soldat mit 2 weiteren nach links. Graf von Fersen und der Rest blieben auf der Hauptstraße. Alfreds Blick folgte Nikole mit Unbehagen und auch Francoise bekam etwas Angst, nun da sie gleich mitten drin sein würde. Aber auch Anette, die Heilerin blieb nicht ruhig, sie war noch nie außerhalb gewesen bei so einer gefährlichen Aktion und nun hoffte sie, dass sie die Dauphine bald finden würden und alles gut werden würde.