I
Paris im Jahre 1774. Die Dauphine Marie Antoinette feierte ihren 18. Geburtstag mit einem rauschenden Fest. Glücksspiele, Alkohol, elegante Kleider. Es war alles vorhanden und sie genoss diese Nacht unendlich.
In einer dunklen Gasse, nicht weit entfernt vom Schloss Versailles stand eine schwarz gekleidete Gestalt im Schatten und warf immer wieder prüfende Blicke hinüber zu dem hell erleuchteten Schloss. Etwas glomm auf in der Schwärze und, ein Knistern ertönte, dann kühlte die Glut langsam wieder ab. Weitere Schritte erklangen und eine weitere Gestalt blieb stehen. „Heute Nacht?“ „Ist am besten. Glaub mir, sie kann sich nicht verwehren, dem Maskenball.“ Erneut glomm etwas auf, dann schnippte der erste Mann die Zigarette weg. Diese landete in einer Pfütze und ging zischend aus. „Lass uns alles vorbereiten.“ Damit wandte er sich um und verschwand in der Tiefe der Gasse. Der Zweite Mann blickte noch einmal zum Schloss und folgte seinem Kameraden.
Im Schloss, dort wo es keine dunklen Wolken gab, machte sich eine Gruppe von feiernden Personen mit der Kutsche auf zu dem Maskenball, der stattfand und auf dem die Dauphine und der Dauphin durch ihre Masken unerkannt Spaß haben konnten. Sie ahnten nichts von dem nahenden Unheil, welches sich über ihren Köpfen zusammenbraute. Eine größere Ansammlung von Frauen und Männern betraten den großen Ballsaal. Sie waren ebenso stattlich gekleidet, wie all die anderen und trugen Masken, um ihre Gesichter zu verbergen. Das Lachen und die gute Laune der Gruppe ließ darauf schätzen, dass sie sich wohl fühlten, doch dies sollte nur die Gäste täuschen. Die Tanzfläche war zum Bersten voll, der Champagner floss in Strömen und schon bald hatte man sich aus den Augen verloren.
Der Dauphin saß mit Freunden auf der großen Treppe und wartete auf seine Dauphine, die jedoch nicht auftauchte. Auch als sich das Gebäude langsam leerte, tauchte Marie Antoinette nicht auf. Stattdessen kam eine junge Frau auf den Dauphin zu, machte einen tiefen Hofknicks und überreichte dem Dauphin ein Schreiben. Dieser brach das Siegel, überflog die Zeilen und erstarrte. Marie Antoinette war entführt worden. Er solle nichts tun und warten, man würde sich wieder an ihn wenden, mit weiteren Instruktionen und Anweisungen. Leichenblass, aber so schnell wie möglich fuhren sie zurück ins Schloss, wo er vor Sorge unruhig umherwanderte.
Das Verlies war dunkel, dennoch hatte die Dauphine wenigstens ein Bett und eine Decke, daneben stand ein Krug mit Wasser und ein Becher, ein Teller mit Brot vollendete das Mahl, doch Marie Antoinette konnte nicht essen und trinken. Sie saß zitternd auf der Pritsche und blickte sich ängstlich um. Rauer Stein, kalt und nass, ein Fenster, welches aber keinen Griff hatte. Wo war sie nur und wer hatte sie mitgenommen. Sie schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern. Sie hatte einen stattlichen jungen Mann gesehen auf dem Ball, in dessen Augen sie versunken war und dann… dann war sie hier aufgewacht. Sie hörte Schritte vor der dicken Holztür, was wollten diese Leute von ihr? Leise Stimmen erklangen, nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Marie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und Tränen rannen ihr die Wangen herunter. Erneut erklangen Stimmen vor ihrer Tür und die Gefangene hielt inne und versuchte angestrengt zu lauschen.
„… müssen uns melden …“ „… nein, zu früh…“ „… Anweisungen, …“ Danach entfernten sich die Stimmen und sie war wieder alleine.
I.I
Die unruhigen Schritte der Braunhaarigen durchbrachen die Stille. Die Diener standen mit gebeugtem Rücken vor ihr. Ärgerlich spielte die junge Frau an ihrem Haar herum. „Das ist wirklich ärgerlich. Wie konnte so etwas passieren.“ Keiner antwortete, aber warum auch, niemand wagte es, denn wenn die Hofdame Aria de Quor wütend war, sollte man besser nichts sagen. Sie war eine der engsten Vertrauten der Dauphine und niemand anderes würde sie so akzeptieren, wie sie war. Sie war eine der jüngsten Hofdamen und sie war seit jeher ein Schützling von Nikole de Florence, die nun in der Gunst von Lafayette stand. Aria warf wütend ihren Fächer gegen die Wand. Es schepperte, als dieser dagegen prallte und zu Boden fiel. „Was sagt der Dauphin dazu? Gibt es einen Plan, die Dauphine zu finden und zu retten?“ Wütend blitzten ihre Augen auf, als sie sich zu den Wachen umdrehte. Der Bote, der die Nachricht der Entführung mitgeteilt hatte, wurde immer kleiner untre ihrem Blick und fing stotternd an: „B ... b … bis je … jetzt …“ „Klar und deutlich“ unterbrach die Hofdame ihn barsch. Der Bote schluckte, atmete tief durch und richtete sich auf. „Bis jetzt noch nicht Mademoiselle. Die Entführer verboten dies, da der Dauphine sonst etwas passieren könnte.“ Aria atmete ebenfalls tief ein und beschwor sich zur Ruhe. Sie wusste, dass sie nur in der Gunst der Dauphine stand, ein falsches Wort und man würde sie aus Versailles verjagen. Sie hatte neben der Dauphine nur noch 2 Verbündete hier. Anette de Boize, die leibeigene Heilerin der Dauphine und die in Ungnade gefallene Nikole de Florence, die inzwischen einen Bediensteten Status im Schloss angenommen hatte. Durch die Gunst des Marquis wusste Aria ihre Freundin noch an ihrer Seite. Sie hob die Hand und winkte und der Bote verschwand, erleichtert aus dieser unangenehmen Situation entkommen zu sein. Aria scheuchte auch den Rest der Diener heraus, warf sich ein Kopftuch über und verließ durch einen Geheimgang ihr Gemach. Der lange Flur war dunkel, aber es schien als würden Glühwürmchen den Flur erleuchten, denn er lag nicht total in Finsternis. Ihre Schritte klangen dumpf, der Architekt hatte bei dem Bau überall Teppich verlegt, damit die Personen in den regulären Gängen nichts von den Geheimgängen erfuhren. Am Ende einer dritten Verzweigung hielt sie inne und lehnte ihr Ohr an die Wand, auf der anderen Seite blieb es still. Sie drückte einen versteckten Knopf und lautlos schwang die Tür auf. Das Gemach der Heilerin war leer. Erleichtert trat Aria hervor und schloss die Geheimtür. Auf Zehenspitzen schlich sie bis in eine versteckte Ecke und ließ sich an der Wand herunterrutschen bis zum Boden. Müde und kaputt schloss sie die Augen und schlief auf der Stelle ein.
Anette de Boize, die leibeigene Heilerin der Dauphine befand sich im königlichen Kräutergarten und füllte ihre Vorräte auf. Sie war nicht nur Heilerin, sie war auch Freundin und Vertraute. Als sie genug Kräuter gesammelt hatte, erhob sich die Rothaarige und blickte gen Himmel. Der Tag war angebrochen und brachte eine erfrischende Brise mit sich. Anette nahm sich ihren Korb und schlenderte die Korridore und Gänge entlang bis zu ihrem Gemach. Unterwegs kamen ihr aufgeregte Diener entgegen, Wachen und Offiziere und Anette runzelte die Stirn. Ein junger Höfling lief ihr vor die Füße und stürzte. Anette war keine Adlige in dem Sinne, aber sie wurde wie eine behandelt und das lag an der Gunst, die sie von der Königin hatte, dennoch blieb sie menschlich. Sie half dem Jungen auf die Beine, dieser verneigte sich sehr tief und eilte dann davon. Was ist nur los? Schoss es ihr durch den Kopf. Sie blickte sich um, bog in einen Gang ein und trat vor ihre Tür. Sie öffnete diese und stellte den Korb auf den Tisch an den großen Fenstern. Als sie sich umdrehte, erschrak sie. Sie eilte in die Nische, in der sich Aria niedergelassen hatte. „Aria, Liebes, was ist passiert.“ Anette half der jungen Hofdame hoch, während diese sich benommen über die Augen rieb. Anette ließ die junge Frau auf ihrem Bett nieder und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Erzähle es mir, was ist hier los, was soll der Aufruhr?“ Aria blickte sich um und erkannte erst nach und nach, dass sie sich bei Anette befand. Ein Schauer lief ihr durch den Körper und sie lehnte sich an die 2 Jahre ältere Frau an. Mit erstickter Stimme berichtete sie Anette, was der Bote ihr mitgeteilt hatte. Anettes Mimik versteinerte und es war, als würde man ihr einen Eimer Eiswasser über den Kopf gießen. Die Dauphine, entführt, fernab der bekannten Welten und niemand konnte etwas dagegen tun. Wer konnte ihr noch helfen? Wer könnte die Dauphine dort retten?
Es klopfte an die Tür. Anette blickte auf und warf einen beunruhigten Blick zu Aria, die ebenso verwundert aufblickte, wie ihre Freundin. Anette erhob sich und trat zur Tür. Sie öffnete sie vorsichtig einen Spalt und blickte in die Augen einer Soldatin. Sie kannte die junge Frau. Es war sehr selten, dass Frauen als Soldaten aufgenommen wurden, aber auch hier war die Schirmherrin die ehemalige Comtess de Florence gewesen. Sie hatte hier schon immer gerne neue Chancen reingebracht und Anette wusste auch, dass Aria von de Florence beschützt wurde. Sie selbst hatte wenig mit der Dame zu tun gehabt und hatte diese auch erst richtig gesehen, als man ihr den Titel aberkannt hatte, dennoch war die Dame stets freundlich und ihren Idealen folgend auch gerne mal etwas aufbrausend. Die Soldatin salutierte und überreichte einen Brief. Dann drehte sie auf den Absätzen um und verschwand. Anette überlegte noch, während sie die Tür schloss. Der Name der Soldatin lautete Saphira de Lumière und war dem Marquis unterstellt. Anette trat an das Fenster und öffnete den Brief. Sie überflog die Zeilen und seufzte schwer.
"was ist los?" Aria war aufgestanden und gesellte sich zu ihr.
Anette lächelte müde und antwortete: "Die königliche Tante wünscht mich zu sehen. Ich habe dieses Treffen bisher sehr gut vor mir herschieben können, leider werde ich der Einladung diesmal wohl folgen müssen."
Aria nickte. "Ich kehre zurück in meine Gemächer. Du bist heute Nachmittag herzlich zu mir eingeladen, zu einem Tee."
Anette wirkte nach dieser Einladung wieder etwas fröhlicher.