Die Rache
„NEIN!“ Ich stürzte mich über die Kante und versuchte die Hand von Race zu erreichen. Sie fiel immer schneller zu Boden. Ich legte meine Flügel an die Seite und gewann an Schnelligkeit. Kurz vor dem Aufprall konnte ich die Hand von ihr fassen und breitete meine Flügel aus. Der unerwartete Widerstand bremste uns stark ab und schleuderte uns sogar einige Meter wieder nach oben. Ich zog Race hoch und hielt sie im fest Arm, als ich wieder Richtung Wolken flog. Sie zitterte am ganzen Körper und legte ihren Kopf an meine Schulter. Ich strich ihr über die Haare und landete sanft auf der Wolkendecke. Race war eine von den Schutzengeln. Sie besaß eigentlich weiße Flügel, aber durch einen Unfall verlor sie diese. Ich als Erz Engel habe schwarze und bin die einzige mit silbernen und perlmuttfarbenen Federn in den Flügeln. Wir gingen zurück zum Palast und ich schickte sie in die Höhle. Dort bekommt man seine Flügel wieder. Plötzlich fiel ein Schatten auf den Boden. Ich drehte mich gar nicht um, da ich schon wußte, wer es war. „Warum?“ „Weil sie meine Freundin ist.“ Der Schatten und sein Besitzer gingen weg. Ich atmete tief ein und ließ mich auf einen Felsen fallen. Die Wolken sollten nur unseren Wohnort verdecken. Wir wohnten nicht wirklich auf Wolken und hatten auch keine Harfen in der Hand. Wir waren zwei Arten von Engeln. Die Schutzengel, die wirklich in weißen Gewändern umherliefen und weiße Flügel hatten und wir, die Erzengel, mit schwarzen Flügeln und in Kampfanzüge gehüllt. Wir sorgen dafür, daß Seelen, die ins Himmelreich kommen, nicht von den Dämonen abgefangen werden. Manchmal versagen wir, aber dann holen wir die verlorenen Seelen zurück, solange es noch möglich ist und sie in der Quelle der Reinheit geheilt werden können. Das klappt nicht immer, aber dafür doch sehr oft. Ich richtete mich auf und erblickt das Gesicht von Race. Ihre neuen Flügel erstrahlten in einem schneeweiß. Ich stand auf und sie fiel mir um den Hals. „Es ist schön, daß du wieder bei uns bist, Race.“ „Roman, ich freue mich auch. Das habe ich alles nur Shan zu verdanken.“ Roman mochte mich nicht, aber das war kein großes Geheimnis. Doch Race' zu liebe, unterdrückte ich meinen Haß auf ihn so gut wie möglich. Ich lächelte Race an, entfaltete meine Flügel und flog Richtung Boden. Ich wollte nicht in die Hölle, sondern einfach nur nachsehen, was auf der Erde los war. Ich landete und zauberte meine Flügel weg. Die Menschheit war nicht so gut auf Engel zu sprechen, das hatten wir schon oft genug erlebt. Ich warf meine Haare nach hinten und ging los. Ich war in der Wildnis gelandet, damit sich niemand erschrecken würde. Im nahegelegenem kleinen Dorf lebten nur Bauern. Eine Taverne stand ziemlich am Anfang des Dorfes und ich trat ein. Es war dunkel und leicht stickig. In einer Feuerstelle flackerte ein Feuer. An Tischen saßen die größten Raufbolde und tranken Bier und Wein. Ich trat an den Tresen und bestellte ein Wasser. Der Wirt blickt mich verwirrt an, aber als er mein Schwert erblickte, gehorchte er. Das Schwert hatte eine gezackte Klinge und die Hand wurde von silbernen Flügeln aus Metall verdeckt. Dort wo die Klinge anfing prangte eine schwarze Rose. Es war das berüchtigte Schwert des Clans der geflügelten Rose, dessen Oberhaupt ich war. „Hey Süße.“ Ich drehte mich um und eine Bierfahne erschlug mich fast. Ich musterte den groben Kerl und dachte mir meinen Teil. Er hatte Schwierigkeiten stehen zu bleiben und schwankte leicht hin und her. Er wirkte abstoßend auf mich und ich trat einige Schritte zurück. Doch er war schneller, trotz des großen Alkoholeinflusses. Er ergriff meinen Arm und hielt mich fest. Sein Griff war fest und wurde mit jeder Minute fester. Ich versuchte mich zu befreien, doch er lockerte seinen Griff nicht. Ich drehte mich ihm zu und ließ mich auf den Boden fallen, mit dem Rücken zuerst. Dann stieß ich ihm meinen Fuß in den Magen und warf ihn über mich rüber. Er ließ los und fiel laut schreiend auf den Tavernenboden, wo er dann regungslos liegenblieb. Ich stand auf,klopfte mir den Dreck von der Hose und rieb mir meinen Arm. „Shan.“ Ich drehte mich erschrocken um und blickt direkt in Taslar's graue Augen. „Ich freue mich, dich wohl behalten zu sehen.“ „Taslar, wie geht's dir?“ Wir reichten einander die Hände und setzten uns an einen Tisch. Taslar war ein alter Kriegergefährte von mir. Wir hatten Seite an Seite gegen das Böse gekämpft, doch dann folgte Taslar dem Weg des Kriegsgottes und unsere Wege trennten sich. Erst danach wurde ich getötet und ein Engel, aber das wußte Taslar nicht. Er konnte gehört haben, daß ich gefallen war, würde es jetzt aber für ein Gerücht halten, was mir nur recht war. Draußen brach die Nacht herein, als Taslar mir erzählte, daß er mit seinem Heer ganz in der Nähe kampierte. Er hatte die Aufgabe bekommen, dieses Dorf zu 'schützen', wie er mir berichtete. „Willst du nicht mitkommen?“ „Nein, Taslar, ich muß noch heute abend weiterreisen.“ „Ohne Pferd? Dann nimm wenigstens ein Pferd von uns an.“ „Sehr gerne Taslar.“ Er bezahlte und zusammen gingen wir zu den Stallungen. Ich bekam einen Braunen und ritt nach einem herzlichen Abschied los. Ich ritt aber nicht weit weg, weil ich tief in mir wußte, daß dieses Dorf nicht sicher war. Man würde es niederbrennen und die Leute ohne Ausnahme ermorden. Ich saß ab, so daß ich das Lager beobachten konnte, dann legte ich mich nieder, um etwas zu schlafen. Erst als die ersten Sonnenstrahlen auftauchten, wachte ich auf. Ich blickte zum Lager. Noch schliefen die Krieger. Ich hörte Schritte hinter mir. Ich griff langsam zu meinem rechten Stiefel, zog den Dolch heraus, drehte mich um und erschrak. „Roman, ich hätte dir fast die Kehle durchtrennt. Erschreck mich nie wieder so.“ Er blickte mich an, sagte aber nichts, dann fiel er mir in die Arme. Aus seinem Rücken ragte ein Pfeil. „Oh gott.“ Ich ging in die Knie und legte Roman hin. Ich schloß seine Augen. Wut brannte in mir auf. Ich konnte Roman nie richtig leiden, aber er kämpfte Seite an Seite mit mir und nun,... Ich schrie innerlich auf. Dann entfaltete ich meine Flügel, die durch den Schmerz wieder sichtbar wurden, hob Roman auf und trat auf das Lager zu. Die Krieger, die Wache hielten, erschraken und einer blies in sein Horn. Sofort war das ganze Lager in Aufruhr. Vor dem Anführer, Taslar, ließ ich Romans Leichnam fallen. Dreck spritzte auf. Taslar blickte mich an. „Was soll das, Shan?“ „Du hast ihn ermordet, Taslar, du oder einer deiner Männer und DAS war dein größter Fehler.“ Er richtete sich auf, seine Hand ruhte auf dem Schwertgriff. Doch bevor er ziehen konnte, hatte er meine Klinge an seiner Kehle sitzen. „Leg dich niemals mit den Erz Engeln an. Wenn es Krieg gibt, habt ihr den kürzeren gezogen.“ Ich steckte das Schwert zurück in die Scheide, hob den Leichnam hoch und flog zurück zur Wolkendecke. Die Engel waren in heller Aufruhr. Als ich die Felsenhöhle betrat, wurde es still. Race rannte auf mich zu, freudestrahlend. Als sie aber Roman auf meinen Armen sah, blieb sie stehen. Dann brach sie zusammen. Ein Schrei durchbrach die Stille und der Boden erzitterte leicht. Ich schloß die Augen und ließ den Leichnam auf den Boden sinken. Dann blickte ich mich um. Race saß vor mir, die anderen Engel standen um mich herum. Jeder hatte den Kopf zum letzten Gedenken gesunken und nur das Schluchzen von Race und das Heulen des Windes waren zu hören. Ich ging zu Race, kniete mich hin und strich ihr über das Haar. Dann stand ich auf und flog raus. Ich mußte alleine sein. Ich wußte schon lange, daß Race und Roman ein Paar waren, aber ich hätte nie gedacht, daß Race mir das verschwiegen hatte. Ich ließ mich auf einem Felsenplateau nieder und kniete mich hin. Meine Waffen legte ich ab, ebenso meine Kampfrüstung. Ich wußte, daß Romans Körper sich in den nächsten Minuten auflösen würde und das Volk der Erz Engel sich zum Kampf vorbereitete. War ich aber bereit zu kämpfen. Zu kämpfen gegen Taslar? Ich wußte es nicht. Ich betete zum höchsten Gott, dann kleidete ich mich wieder an, legte meine Waffen an und flog zurück zur Höhle. „Da bist du endlich, Shan. Es ist soweit, die Menschen haben einen der unseren grundlos angegriffen. Wirst du mit uns kommen und Roman rächen?“ Ich blickte in die Runde, die Schutzengel standen hinter mir. Race in erster Reihe. Sie sah blaß aus. Ihre Augen aber blitzten wütend. „Ja, ich werde kämpfen und Romans Tod rächen.“ Race nickte mir fast unmerklich zu. Ich trat auf sie zu und nahm meine Kette mit der Goldmünze ab. „Nimm dies, als Zeichen, daß ich Roman rächen werde.“ Ich gab ihr einen Kuß auf die Stirn und folgte den anderen Erz Engeln. Wir landeten nahe des Kriegslager, welches noch immer am gleichen Platz stand. Die Krieger waren noch nicht weg oder schon wieder da. Wieder ertönte das Horn , doch es verstummte schnell, nachdem Oljas dem Wächter die Kehle durchtrennt hatte. Taslar kam heraus gerannt und blieb stehen. Meine Klinge zeigte auf seine Kehle. „Du Hure. Ich werde dich töten.“ „Du vergißt ich bin schon tot und habe nichts zu verlieren und wenn ich dein ganzes Heer niedermetzeln muß, der Schuldige wird darunter sein.“ Das Volk der Engel hatte sich hinter mir versammelt und die Krieger Taslars trauten sich nicht, sich einzumischen. „Du siehst Taslar, was uns die alte Frau damals sagte, wurde Wirklichkeit. Sie sagte uns, daß wir einst als Feinde gegenüber stehen werden, nicht im Spiel, sondern im Ernst. Und einer wird von uns gehen, doch wird dieser jemand nicht dort landen, wo sein Freund ist. Du wirst gehen und deine schwarze seele wird nur Einlaß in die Hölle bekommen. Sollte ich gehen, werde ich nie wieder auf die Erde zurückkommen, aber ich habe den Tod meines Kampfgefährten gerächt.“ Auf Taslars Stirn bildeten sich Schweißtropfen. „Ich habe befohlen den Engel zu töten.“ Meine Hand zitterte. „Warte, Shan.“ Ich biß die Zähne zusammen. „Er wird seine gerechte Strafe bekommen, aber nicht durch dein Schwert, auch wenn Race es besser fand. Wenn du ihn nun tötest, wirst auch du leiden.“ Ich zog das Schwert durch, Taslars Kehle brach auf und das Blut quoll hervor. Im gleichen Moment verbrannten meine Flügel. Vor Schmerzen schrie ich auf. Doch ich hatte Race geschworen, den Tod Romans zu rächen. Die Engel um mich herum verschwammen. Ich hörte die Stimme Trafalgars, sie verschwand im Nebel.